Selten habe ich die Chance ein Buch bereits vor dem offiziellen Erscheinungstermin lesen zu können. Umso mehr habe ich mich am vergangenen Freitagabend dank der wunderbaren Buchpräsentation im Kreuzberger Otherland darüber gefreut, diese Neuerscheinung gleich vier Tage früher in meinen Händen halten zu können.

Als ich Andymon zu Beginn diesen Jahres durchgelesen hatte, habe ich den Roman regelrecht verschlungen und fieberte der vom Memoranda-Verlag angekündigten Veröffentlichung der „Andymonaden“ in der Hoffnung auf eine Fortsetzung beinahe euphorisch entgegen. Mit der Zeit mischte sich aber auch eine gewisse Skepsis in meine Erwartungshaltung. Gespeist vor allem durch die Ungewissheit, was andere Personen eigentlich aus Andymon machen würden, was sie denn herausgelesen haben mögen und ob sich das nicht alles grundsätzlich von dem unterscheiden könnte, was ich daran so mochte.

Ein klein wenig entwickelte ich wohl auch die Befürchtung, dass mir diese Neuinterpretationen „mein eigenes Andymon“ kaputt machen könnte. Diese Kurzgeschichtensammlung völlig unterschiedlicher Autor*innen präsentierte sich mir in gewisser Weise wie eine Wundertüte voller abweichender Lesarten.

In der Folge will ich meine Eindrücke von allen 12 Beiträgen vorstellen. Ganz ohne Spoiler komme ich dabei nicht aus.

  1. Sabotage
  2. Ausreißende Sterne
  3. In unserer so großen Zahl
  4. Alles und nichts
  5. Ich werde dir von allem erzählen
  6. Siedlerinnen in der Schwerelosigkeit
  7. Moosflecken
  8. Wovon ich Teil sein will
  9. Imago
  10. Auf die Sterne fallen
  11. Neue Träume
  12. Nach Andymon

Sabotage

Den Beginn macht Patricia Eckermann mit einem 12 Seiten langem Prequel zur Romanhandlung. Ihr Text handelt von Angel Stone1, einer Gefangenen auf einem im Weltall treibenden „Gefängnis-Pod“, die sich immer wiederkehrenden Verhören durch eine künstliche Intelligenz ausgesetzt sieht. Die Aufgabe dieses künstlichen Ermittlers ist es die Beteiligung an einem Anschlag aufzuklären, bei dem die inzwischen 42 Jährige erwischt wurde.

Die Geschichte ist in einer dystopischen Zukunft (bzw. Vergangenheit aus der Perspektive des Romans) angesiedelt, die viele Elemente des Cyberpunk enthält. Aus der Perspektive der Ich-Erzählerin in der Verhörsituation, wird der Hergang des Anschlages, seine Hintergründe und Absichten dargelegt. Dabei werden wie automatisch eine Reihe der zentralen Fragen um die Herkunft des Raumschiffes gelöst, die sich aus der Lektüre von Andymon ergeben haben. Woher kommt es, wer hat es gebaut und warum.

Trotz der äußerst düsteren Welt, in der die Geschichte spielt, geht der utopische und hoffnungsvolle Grundtenor der Romanvorlage nicht verloren. Im Gegenteil, er wird durch die Schilderung der prekären Ausgangslage noch einmal unterstrichen.

Ein weiterer bedeutender Unterschied besteht im Stil und äußert sich darin, dass politische Themen nicht mehr nur indirekt und unterschwellig durch die Handlung zum Ausdruck kommen, sondern offen angesprochen werden. Politische und theoretische Begriffe wie Kapitalismus, weiße Vorherrschaft, oder People of Color etc. werden hier direkt benannt, während sie in der Sprache von Andymon vollkommen ausgespart blieben.

Unterm Strich eine sehr schöne und auch humorvolle Kurzgeschichte, die – obwohl sie im Jahr 2065 spielt – unverkennbar einen Bogen in unsere Gegenwart des Jahres 2025 und zu unseren akuten gesellschaftlichen Probleme schlägt.

Ausreißende Sterne

Der zweite Beitrag stammt von Aiki Mira und handelt von einem Raumflug auf dem Weg zu einem Runaway-Stern und der ihn bestimmenden Super Nova. Auf knapp 18 Seiten skizzert Aiki mindestens zwei oder sogar eher drei verschiedene Geschichten in einem Text.

Zum einen sind da Muth, Dari und der oder die nicht namentlich genannte Protagonist/Protagonistin, welche seit mindestens 7 Jahren in „Space-Symbiose“ auf einem Raumschiff leben und ihrem Ziel der Super Nova entgegensteuern. Sie entstammen den folgenden Generationen der Bewohner*innen von Andymon und haben auf einer Raumstation für das Leben im Weltall, fern von der Planetenoberfläche trainiert. Hier schildert Aiki eine mögliche Fortsetzung der Romanhandlung und zeigt auch potentielle Konfliktlinien unter den Nachkommen auf.

Daneben handelt die Geschichte aber auch vom Verhältnis des/der Protagonist*in zur eigenen Mutter, die vor 7 Jahren gestorben ist. Hier entfaltet sich die ganze Bandbreite einer Mutter-Kind-Beziehung, die ihr natürliches Ende im Tod der Mutter findet. Erzählt wird die Handlung ebenfalls aus der Ich-Perspektive. Und vor allem auch in dem typischen reflektierenden und zurückdenkenden Modus, in dem auch Beth im Roman Andymon auf alles Geschehene zurückblickte.

Eine Art erzählerischen Rahmem für die Geschichte, bildet der Umstand, dass der Text als eine Nachricht an oder ein Nachdenken über den Bruder verfasst ist, der einen gegensätzlichen Lebensweg eingeschlagen hat und auf der Planetenoberfläche geblieben ist. Dadurch kommt aber noch einmal hinzu, dass hier auch das Verhältnis zwischen Geschwistern behandelt wird.

Ich muss sagen, das es mir an einigen Punkten schwer gefallen ist, die Geschichte vollkommen zu verstehen und es möglich ist, dass ich einige Elemente und die entscheidende Pointe entweder nicht verstanden oder vollkommen übersehen habe. Das gerät jedoch weniger zum Nachteil, sondern unterstreicht vielmehr dass es der Text wert ist, mehrfach gelesen zu werden.

Nichtsdestotrotz stellt der Beitrag eine unglaublich emotionale und wie ich finde auch tröstende Geschichte dar, die zusammen mit dem Schreibstil von Aiki Mira wunderbar an Andymon anschließt. Es bliebe eigentlich nur zu wünschen, dass Mira in Zukunft einmal Zeit und Lust finden würde „Ausreißende Sterne“ zu einem vollen Roman zu erweitern.

In unserer so großen Zahl

Der Text von Dietmar Dath ist etwas kürzer als die vorherigen (kaum mehr als 10 Seiten) aber dafür bedeudetend rätselhafter. Das Geschehen spielt augenscheinlich in einer weit entfernten Zukunft und handelt von Kehat und Katme, zwei Abkömmlingen der Menschheit, die auf Gedon, einem Mond des Planeten Andymon, Tee trinken und einen Austausch sowohl über ihre eigenen Herkünfte als auch die Wege der inzwischen über weite Teile des Weltalls verstreuten Menschheit abhalten.

Dabei haben sich die Menschen inzwischen soweit differenziert und an die verschiedenen Lebensbedingungen in den Raumschiffen und Planeten angepasst, dass sie kaum noch für Nachkommen der selben Menschen gehalten werden können, die einst Andymon besiedelt haben.

Bei ihrer Suche nach den Siedlungen der Menschen stützen sie sich auch auf die Ergebnisse spezieller Raumsonden, die den Kolonieschiffen nachträglich von ihren Erbauern in einer Vielzahl hinterhergeschickt wurden, um inzwischen veraltetes Wissen zu korrigieren oder den Forschungsstand um neue Erkenntnisse zu ergänzen. Zwei dieser Sonden, treten hierbei in Gestalt von Karlheinz und Angela als liebevolle Anspielung auf die Autoren der Romanvorlage auf.

Ich gebe zu, in diese Geschichte nicht vollkommen eingestiegen zu sein, da mir bei einigen Referenzen auch das Hintergrundwissen fehlen könnte, um sie identifizieren zu können. Die Lektüre mit etwas Abstand noch einmal zu wiederholen kann unter Umständen auch hier hilfreich sein. Schön geschrieben ist der Text, der zur Abwechslung mal aus einer personalen Erzählperspektive formuliert ist, aber in jedem Fall. Auch schwingt in den Schilderungen von Andymon und Gedon eine wohlige Portion Melancholie mit.

Alles und nichts

Bei „Alles und Nichts“ handelt es sich um einen Textbeitrag von Lena Richter. Er sticht in seiner Struktur aus der Menge der anderen Kurzgeschichten hervor, da er in fünf mehr oder wenige unabhängige Teile (Nichts, Zukunft, Programmierung, Geschichte, Alles) gegliedert ist. Zudem unterscheiden sich die Abschnitte auch auf angenehme Art untereinander. So ist einer im Stile eines Bühnenstückes geschrieben und ein weiterer enthält Pseudocode zur Veranschaulichung einer vorgenommenen Umprogrammierung der Erziehungsroboter.

Die sämtliche Teile umschließende Klammer wird (meiner Interpretation nach) durch die Themen Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität gebildet. Der ursprüngliche Roman umschifft diese Themen indem er keine Aussagen dazu trifft, aber zumindest an einigen Stellen zumindest den Raum für die Vorstellung einer Entwicklung der Protagonistinnen jenseits dieser vorherrschenden Normen lässt.

An solch einem Punkt setzt dieser Beitrag ein und formuliert eine mögliche Entwicklung der Gruppen auf dem Kolonieschiff aus, die in Andymon nicht beschrieben wird. Chronologisch lassen sich die Textfragmente in der Zeit verorten, in der das Raumschiff bereits den Zielplaneten erreicht hat und in der die ersten Gruppen an der Schwelle zur Rückkehr zur „natürlichen Reproduktion“ stehen. Ein inhaltlicher Twist besteht hierbei, dass die Maschinerie des Kolonischiffes nicht wie in der Romanvorlage ausgesondert werden soll. Stattdessen sollen die Rammas, Gurus und Inkubatoren zur Überwindung des oben erwähnten archaischen Prinzips der Heteronormativität an die neuen Bedürfnisse angepasst werden.

Ich werde dir von allem erzählen

In dieser Geschichte von Zeinab Hodeib findet ein ähnlicher Perspektivenwechsel statt, wie in dem ersten Text von Patricia Eckermann. Wieder wechselt der Blick weg von den Schicksalen auf Andymon und zurück zur Erde und zu denjenigen, die nach dem Start des Kolonieschiffes auf ihr geblieben sind.

Ma`ree und ihr jüngerer Bruder A`Damah sind Waisen, deren Eltern bei dem Versuch dem Raumschiff in Richtung Andymon nachzureisen ums Leben gekommen sind. Sie leben in einer von Kriegen gezeichneten düsteren Welt, deren Gesellschaft ihre alten Probleme auch nach dem Start der Raumschiffe nicht überwinden konnte.

Die ungeheure Aufgabe den frühen Tod der Eltern zu verarbeiten aber auch die Auseinandersetzung mit dem Traum, die Reise zum Sehnsuchtsort Andymon irgendwie doch noch zu meistern, stehen hier im Zentrum der Geschichte.

Siedlerinnen in der Schwerelosigkeit

Der Beitrag von Luise Meier wirft ein feministisches Schlaglicht auf das Geschehen der Romanhandlung und setzt nach der Auflösung des Konfliktes zwischen dem Hauptprotagonisten Beth (der in diesem Text allerdings Beta genannt wird, weshalb ich mich frage ob es eventuell verschiedene Fassungen von Andymon gibt, in denen sich die Namen unterscheiden?) und seinem Widersacher Resth ein.

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive von Gamma, der Gefährtin von Beth, geschildert und hilft so einen ergänzenden und alternativen Blick zu vermitteln. Im Zuge der Aufarbeitung der Vorfälle um dem heimlichen Einsatz von Überwachungstechnik berichtet Gamma wie sich ein erst loser und dann zunehmend gefestigter Kreis von Frauen zusammenfindet und das Vorgefallene analysiert.

Die Frauen stellen mit Hilfe des Totaloskop (in etwa eine Virtual-Reality-Einrichtung mit Enzyklopädiefunktion) Nachforschungen in der dem Schiffscomputer bekannten Ideengeschichte bis zum irdischen Jahr 1999 an. Erste Recherchen zeigen auf, dass diese „diktatorische Episode“ nicht nur als ein Machtkampf, sondern auch im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse als ein „Vatersyndrom“ und als ein Ausdruck patriarchaler Strukturen gesehen werden muss.

Der Arbeitskreis durchläuft einen beinahe klischeehaft anmutenden Organisationsprozess hin zu einer marxistisch-feministischen Politgruppe, deren historische Analysen in Gruppenreferaten und Marx-Engels-Lektüren münden. Der für mich spannende Punkt in der Geschichte ist die Frage nach danach, wie eine Reproduktion von (bereits von der Erde bekannten) Unterdrückungsmechanismen auf dem Planeten Andymon verhindert werden kann.

Moosflecken

Ganz im Zeichen des Terraforming steht der Text von Zara Zerbe, welcher aus der Perspektive von Szina und ihrer Schwester Tawa verfasst wurde. Im Zentrum stehen die Bemühungen um die Ansiedlung eines Waldes unter den noch rauen und unwirtlichen klimatischen Verhältnissen, die auf Andymon zu Beginn des Umwandlungsprozesses stehen.

Während einer Arbeitspause auf einem Versuchsfeld gelangt Szina zu wundersamen (um nicht direkt „sens of wonder“ zu schreiben) und erhellenden Erfahrungen.

Was mir an diesem Text gefallen hat, ist dass diese für die Buchvorlage so spezifische Arbeitsatmosphäre, dieses angestrengte Forschen im Labor und dieses betriebsame werken an konkreten zu lösenden Problemen aufgegriffen wird.

Wovon ich Teil sein will

Die von Jol Rosenberg beigesteuerte Geschichte stellt ein klares Sequel dar und beleuchtet mit der Suche nach Informationen über die Herkunft und den Zweck des Raumschiffes eine der bleibenden und ungelösten Fragen, welche die „Andymoner“ umtreiben.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Nunth, der sich von der, auf der Planetenoberfläche lebenden, Gemeinschaft mehr oder weniger freiwillig löst, um im Inneren des Schiffes nach bisher unentdeckt gebliebenen Hinweisen auf dessen Ursprünge zu suchen. Angetrieben von Zweifeln über den Sinn des Kolonisierungsprojektes aber auch frustriert vom Umgang untereinander wendet er sich auf der Suche nach Unterstützung an die Abtrünnigen der Gruppe vier, welche sich schon vor langer Zeit zu einem Kollektiv-Wesen vergemeinschaftet und auf dem Mond eine eigene Heimstätte eingerichtet haben.

Dies ist einer der Texte, bei denen ich mich doch dazu gezwungen sah, meine eigene Ausgabe von Andymon noch einmal aufzuschlagen um genauer nachzulesen, ob mich meine Erinnerung an der einen oder anderen Stelle nicht trügt. Wenn ich es nicht komplett durcheinanderbringe hat Jol für diese Geschichte die Pronomen von Beth von er/ihm zu sie/ihr geändert, was für mich noch einmal der Anlass geboten hat genauer darüber nachzudenken, weshalb ich Beth bei meiner ersten Andymon-Lektüre eigentlich wie selbstverständlich als männlich interpretiert habe.

Ebenfalls meine ich herausgelesen zu haben, dass Jol bewußt versucht hat an die Diktion und die Sprache des Romans aus dem Jahre 1982 anzudocken, was den Text von den anderen Kurzgeschichten klar unterscheidet. Zumindest bilde ich mir das an den Stellen ein, an denen Nunth beispielsweise mit „Kleinrechnern“ arbeitert und „Jägerschnitzel“ verspeist.

Auch in diesem Fall würde ich mir eine Fortsetzung zu diesem Beitrag wünschen, da mich die Schilderungen des Gruppenwesen und alle mit ihm verbundenen Implikationen für die Welt von Andymon in Jol Rosenbergs Entwurf ebenso faszinieren konnten, wie bereits im Roman.

Imago

In dem Text von Anna Zabini wird die Idee der Besiedlung des Weltraums mit Kolonieschiffen weitergesponnen. Lange nach der Ankunft auf Andymon und seiner Besiedlung wird Beths Traum vom Raumschiffbau realisiert und ein zweites Schiff konstruiert. Dieses trägt den Namen Gamma und soll von Andymon aus zum Planeten Aedia starten.

Allerdings werden einige entscheidende Veränderung im Design des Raumschiffs vorgenommen. Der Flug soll jetzt nicht mehr isoliert vom Startplaneten und in Unkenntnis über Herkunft und Erbauer erfolgen, sondern unter Aufrechterhaltung eines ständigem Kontakts.

Vor diesem Hintergrund wird das Schicksal zweier alternder Geschwister geschildert, die ihr Leben diesem Projekt verschrieben haben. Auf der vorletzten Seite der Geschichte gibt es einen kleinen Einschub in Form einer Liste mit Stichpunkten, bei der ich die Vermutung habe, sie soll Leser*innen einfangen – die wie ich – etwas verloren gegangen sind oder den Einstieg in den Text nicht so richtig hinbekommen haben.

Stellenweise hatte ich den Eindruck, ich hätte zum Verständnis der Handlung im Vorfeld noch irgendeine andere Geschichte lesen müssen. Auch hier nehme ich mir vor, den Text mit etwas zeitlichem Abstand erneut zu lesen, in der Hoffnung vielleicht noch ein paar Lücken zu schließen.

Auf die Sterne fallen

In der Geschichte von Mert Akbal geht es um die Erlebnisse von Mithra, Fiona und Asilon. Die drei Freunde leben in einer dystopischen Europäischen Union der nahen Zukunft und versuchen auf ihre Weise in einer Welt voller prekärer Lebensbedingungen klarzukommen.

In insgesamt 6 kleinen Kapiteln werden die Lesenden in eine ziemlich abgedrehte Welt voller Insektenproteine, Raketeneinschlägen und Online-Beschäftigungsverhältnissen eingeführt, in der Drogen augenscheinlich nicht nur zur verbesserten Wahrnehmung für die Drohnensteuerung eingesetzt werden.

Der Autor entfernt sich mit „Auf die Sterne fallen“ inhaltlich wie auch stilistisch von allen Texten am weitesten von der Vorlage, schafft es jedoch noch in einem wilden Ritt den thematischen Rahmen von Andymon zu streifen.

Neue Träume

Auch die Kurzgeschichte von Nelo Locke beschäftigt sich primär mit der Frage, welche Wege die Besiedlung des Weltalls in den folgenden Generationen, jenseits von Andymon haben könnte.

In einer Folge von Logbuch-Einträgen von Beta und Kim, wird das Aufeinandertreffen von zwei sich bisher unabhängig und in Unkenntnis von einander entwickeltenden Kolonien beschrieben.

Beta repräsentiert hierbei die Sicht der Menschen, die mit einem neuen Kolonieschiff von Andymon aus den Planeten Z37 ansteuern. Erst im Anflug bemerken sie, dass dieser bereits bewohnt ist und das sogar von Menschen, die jedoch aus einem anderen Zweig des Kolonisierungsprojektes kommen müssen und sich in ihrer gesellschaftlichen Ordnung mitunter stark von den Andymonern unterscheiden.

Eine der größten Unterschiede ist das Fehlen von geschlechtsbezogenen Personalpronomen. Anstelle von er/sie etc. wird auf Z37 lediglich „ens“ benutzt und das unabhängig vom Geschlecht. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen scheinen auf dieser Welt noch flexibler ausgestaltet zu sein als auf Andymon. So lebe die Menschen hier in Mehr-Personen-Beziehungen, die „Polykül“ genannt werden und selbst die Erziehungsroboter sind seltsam verändert.

Die aus diesen Unterschieden entstehenden Effekte bilden den Kern dieser schönen Geschichte, welche mit Sicherheit zur Diskussion anregt.

Nach Andymon

Den Abschluss bildet der Herausgeber Michael Wehren mit seinem Beitrag „Nach Andymon – Vier Erinnerungen aus der Zukunft“ bei dem es sich genauer betrachtet auch um vier voneinander unabhängige Texte handelt, die einen so weiten Bogen über alle Facetten der Auseinandersetzung mit dem Buch Andymon spannen, dass dieser Text viel mehr den Charakter eines Schlusswort als den einer eigenständigen Kurzgeschichte annimmt. Allerdings auch einem sehr schönen Schlusswort.

Mein Fazit

Insgesamt lässt mich das Buch sehr zufrieden zurück. Unter den 12 Beiträgen gibt es für mich keine schlimmen Ausreißer. Meine anfänglichen Befürchtungen darüber, was denn da bei so einem Projekt alles verbockt werden könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Ich bin sogar beeindruckt von der inhaltlichen Bandbreite der in diesem Band versammelten Geschichten und hier besonders von den Wegen, wie sich aus diesem – mit über 43 Jahren schon relativ alten – Stoff doch so viele aktuelle und in der Gegenwart verwurzelte Texte kreieren lassen. Den einen oder anderen davon werde ich mit Sicherheit auch noch ein zweites Mal lesen.

Last but not least, überzeugt mich auch die Covergestaltung. Das Titelbild stammt von S. Beneš / benSwerk und zeigt drei menschliche Gestalten in orangenen Raumanzügen, die laut den Erläuterungen von der Buchvorstellung das kleinstmögliche Kollektiv bzw. die kleinste Gruppe von drei Personen symbolisieren sollen. Insbesondere die Farbkombinationen finde ich gelungen, allerdings halte ich den Einsatz von KI, auch in unterstützender Form, zu diesem Zweck aus ethischen Gründen für fragwürdig.

Das Buch erscheint am 6. Oktober 2025 und umfasst 196 Seiten. Für 23,00 EUR kann es beim Memoranda-Verlag und im Buchhandel unter der ISBN 978-3-911391-12-2 bestellt werden.

  1. ein schöner und verspielter Verweis auf die Autorin Angela Steinmüller ↩︎

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